OB-Wahl Mannheim: Genug Themen zum Kandidieren

OB-Wahl Mannheim: Genug Themen zum Kandidieren

7. Januar 2023 Aus Von Stephan Bordt

Wenn am 18. Juni in Mannheim über die Nachfolge von OB Kurz abgestimmt wird, ist schon jetzt klar: Aufbruchstimmung wird nicht aufkommen. Die drei großen Parteien stehen für Kontinuität, egal wer für sie kandidiert. Dabei wäre in wichtigen Punkten entschiedeneres Handeln dringend nötig. Verkehrs- und Energiewende kommen auf absehbare Zeit nicht über Ansätze hinaus, Armut bleibt weitgehend zementiert, Wohnen wird immer teurer, die Deindustralisierung schreitet unreguliert voran, bei Bildung, Betreuung und Gesundheit bleibt die Stadt vom Wohlwollen des Landes und der Kirchen abhängig. Zeit für mutigeres Handeln! Mit SPD, CDU und Grünen als Regierungsparteien auf Landes- und/oder Bundesebene wird das schon aus strukturellen Gründen nicht zu machen sein.

Es wird nicht besser

Mit Thorsten Riehle wird die Stadtpolitik trotz der Zugehörigkeit zur selben Partei wie der derzeitige Amtsinhaber eher noch ein Stück konservativer. Das hat er als Fraktionschef im Gemeinderat gerade in Bezug auf die Verkehrspolitik allzu deutlich gemacht. Von der CDU ist ohnehin nichts zu erwarten, sie steht für eine fatale Bremser-Politik im Geiste der Ära von Adenauer bis Merkel. Die Grünen sind in Mannheim zwar glücklicherweise progressiver als die Landesregierung und v.a. der „Minischderbräsidend“ (der mit dem Waschlappen). Doch in fast allen Regierungsbeteiligungen beweist die Partei mit der Sonnenblume im Wappen ihre Wandlungsfähigkeit von der Hoffnungsträgerin progressiver Umwelt- und Gesellschaftspolitik zu einer wertkonservativen Bewahrerin mit ausgeprägtem Opportunismusfaktor – siehe NRW und der Braunkohle-Deal, der die Klimabewegung schamlos verhöhnt bzw. in Lützerath zusammenknüppeln lässt. Und an sozialen Themen ist die Akademikerpartei par excellence bis auf wenige Ausnahmen ohnehin eher nur theoretisch interessiert.

Alternative Kandidaturen lohnen sich

Da die Stimmung in der Bevölkerung mit Sicherheit keinen Paradigmenwechsel herbeisehnt, sind gerade im eher beschaulichen Mannheim progressivere Politikentwürfe chancenlos. Trotzdem lohnt es sich, die Fahne des gesellschaftlichen Fortschritts hochzuhalten und mit alternativen Kandidaturen zur Oberbürgermeister/in-Wahl anzutreten. Wer den Wandel nicht einfordert, darf sich über sein Ausbleiben nicht beklagen. In einzelnen Themenfeldern können SPD und Grüne mit ihren politischen Ansprüchen an sich selbst vielleicht sogar ein Stück weit zu Zugeständnissen getrieben werden, an die die/der künftige Amtsinhaber/in dann nicht oft genug erinnert werden sollte.

Es gibt einige Punkte mit – teilweise sogar mehr als nur – kommunalpolitischer Einflussmöglichkeit einer Oberbürgermeisterin bzw. eines Oberbürgermeisters:

  • Mannheim ist bis in alle Randbereiche von großen, stark befahrenen Straßen durchzogen. Sektoraler Klimaschutz und Lebensqualität bleiben auf der Strecke. Der Masterplan Mobilität 2035 macht Hoffnung, doch zu einer echten Verkehrswende gehören eine mutige Einschränkung der Allgegenwärtigkeit des KFZ-Verkehrs und die komplette Umwidmung von Straßen zugunsten emissionsfreier Fortbewegung und Rückbau, z.B. von überdimensionierten Schnellstraßen.
  • Die Energiewende mit Ziel Klimaneutralität geht nur ehrlich. Dazu gehören u.a. eine wissenschaftlich haltbare Bewertung aller Energieerzeuger, u.a. auch der diversen Formen der Abfall- und Altstoffverbrennung. Absichtserklärungen sind nur so viel wert wie ihre tatsächliche Umsetzung und Wirkung.
  • Wohnen muss zur Chefsache werden. Mannheim wächst und würde noch viel stärker wachsen, wenn das für Wohnungssuchende zur Verfügung stehende Angebot zu deren finanziellen Möglichkeiten passen würde. Innerhalb der Stadt suchen zehntausende Menschen bzw. Familien nach einer neuen Bleibe, können aber die aufgerufenen zweistelligen Quadratmeter-Nettokaltmieten auf keinen Fall bezahlen.
  • Die Stadt kommt mit der Schaffung von Kita-Plätzen nicht hinterher, während sich die beiden größten Anbieter, die Kirchen, aus dem Markt zurückziehen. Die Stadt kompensiert notgedrungen, aber völlig unbefriedigend mit privaten Anbietern. Das sind teilweise Immobilien-Investoren und Kita-Konzerne, jeweils mit hohen Renditeerwartungen, die über Elternbeiträge reinkommen müssen, die kaum jemand bezahlen kann. 800 Euro pro Kind und Monat sind da keine Ausnahme. Wer kann das bezahlen? Hier müssen auf höchster Stadtebene Grenzen gezogen werden. Kinderbetreuung ist Gemeinwohl, kein Renditeobjekt!
  • Bildung muss inklusiver und durchlässiger werden. Die Stadt muss entsprechende Schulformen wie eine weitere Gesamtschule und mehr G9-Angebote einfordern. Hier ist ein OB-Engagement in Stuttgart gefordert.
  • Ausweitung Angebote und Fördern statt Fordern beim Jobcenter, das von der Stadt mitbetrieben wird. Für das Rausfallen ganzer Gesellschaftsgruppen und die Zementierung von Armut gibt es strukturelle Probleme. Ein/e OB kann den Kapitalismus nicht abschaffen, aber entschlossene soziale Fortschritte mit Modellcharakter durchsetzen. Das ist auch notwendig, wenn Mannheim wirklich eine Stadt für alle sein soll.
  • Der OB sollte besser eine OB sein. Der weibliche und/oder diverse Blick weg von der eingeübten Männerwelt fehlt als einflussreiches Korrektiv in dieser Position. Frauen an die Macht! Spätestens seit Maggie Thatcher wissen wir, dass das allein kein Programm ist. Aber das weibliche Selbstverständnis eröffnet neue Perspektiven. Und natürlich gehört dazu auch eine offene queere und transfreundliche Weitsicht.
  • Ebenso ist ein antirassistischer Blick dann am schärfsten, wenn er sich aus persönlicher Erfahrung speist. Auch wenn das Negativklischee sehr strapaziert wird, macht es doch immer wieder klar, was nicht gut funktioniert: Alte weise Männer können engagiert und offen sein, aber nicht wirklich die Situation und Diskriminierungserfahrungen von BIPoC-Frauen oder anderen Menschen jenseits der althergebrachten Normgesellschaft nachvollziehen. Aber erst dieser Blick eröffnet die Perspektive, die wir als progressive, emanzipierte Gesellschaft mit dem entschlossenen Willen zu einer besseren Zukunft für alle benötigen.

Gemeinsame Kandidatin des linken Spektrums?

Stand erste Januarhälfte 2023 gehe ich davon aus, dass DIE LINKE Mannheim sich mit einer Kandidatin -weiblich oder divers – an der Oberbürgermeister/in-Wahl beteiligen wird. Ob es ihr gelingen wird, andere progressive Kräfte dafür ins Boot zu holen, deren Gestaltungsansprüche über die der SPD und Grünen hinausgehen, ist unklar. Wünschenswert wäre eine gemeinsame Kandidatin des Spektrums sozial, kapitalismuskritisch, queerfeministisch, pro Klimaschutz und BIPoC bzw. Migrationshistorie. Klingt sehr klischeehaft nach Randgruppen und Öko-Utopien. Aber in Summe ist das die Politik für die Mehrheitsgesellschaft. Also kommt zusammen, traut euch, setzt ein Zeichen, bringt die Stadt voran!

Meine Stimme habt ihr.

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