Klimarettung & Co. sind kein Verrat an linker Politik

Klimarettung & Co. sind kein Verrat an linker Politik

31. Dezember 2021 Aus Von Stephan Bordt

DIE LINKE sucht sich selbst, angetrieben von ihren Vorsitzenden. Im Bundestag wird sie nicht fündig. Im Mannheimer Gemeinderat könnte sie viel lernen – von einer kleinen Fraktion, in der DIE LINKE nur ein Teil ist. Hier funktioniert Politik ziemlich gut. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Die beiden Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler haben mit dem Arbeitspapier „Wir müssen den Kompass neu ausrichten“ den hoffnungsvollen Versuch einer Richtungskorrektur vorgelegt. Genau genommen ist es gar keine Korrektur, sondern die Fokusierung auf bestimmte Themen, die bereits im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 benannt waren. Leider hat die Partei im Wahlkampf andere Akzente gesetzt, teilweise wirr und unverständlich, fast ausschließlich nicht am aktuellen Diskurs orientiert und das Wahlprogramm ignorierend. Vermutlich wollen Hennig-Wellsow und Wissler die Autorität zurückgewinnen, dieses Programm wieder als Leitbild durchzusetzen und weiterzuentwickeln.

Das Thesenpapier der Vorsitzenden: Alte Standpunkte, neue Richtung

Geschickt pirschen die Beiden sich an die Korrekturen gegenüber den thematischen Schwerpunkten im Wahlkampf und in der Bundestagsfraktion heran. Relativ früh im Text kommt eine grundsätzliche Feststellung, die erahnen lässt, wohin die Reise gehen könnte: „Es reicht angesichts einer veränderten Gesellschaft nicht aus, als soziales Korrektiv zu SPD und Grünen zu agieren.“ Kurz danach stecken sie die Rahmenbedingungen ab: „Die Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts: soziale Spaltung, eskalierende Klimakrise, globale Konkurrenz um Ressourcen, autoritäre Bedrohung der Demokratie.“

Um jedoch klar zu machen, dass sie den Markenkern der LINKEN entsprechend erweitern, aber nicht komplett verschieben wollen, zählen sie die wichtigsten Bestandteile des Klebers auf, der bei allen Flügelkämpfen und tiefen Gräbern die Partei noch zusammenhält. Die Stichworte lauten Hartz IV, Mindestlohn, Minijobs, Leiharbeit, Rentenpolitik und Vermögenssteuer. Zusammengefasst: „(Die) Politik des sozialen Zusammenhalts setzt auf einen gerecht finanzierten Sozialstaat.“ Auch die daraus resultierende Stoßrichtung dürfte konsensfähig sein: „Unsere Devise heißt: weniger Markt, mehr Demokratie wagen. Demokratisches Eigentum an dem, was alle für ein besseres Leben brauchen.“

Doch dabei bleibt es nicht. En passant sind Begriffe wie ökologische Transformation oder ökologischer Umbau der Wirtschaft eingestreut. Erst nach einigen weiteren Ausführungen werden die Konsequenzen gezogen: „Wir werden die soziale und klimagerechte Mobilitätswende zu einem Schwerpunkt unserer politischen Arbeit machen (…) Nur durch massive öffentliche Investitionen und einen sozial-ökologischen Transformationsfonds für die Industrie wird ein nachhaltiges und klimagerechtes Wirtschaften gelingen.“

Geschickt wird dies mit Strukturpolitik für schwächelnde Regionen auf ehemaligem DDR-Gebiet verbunden, um nebenbei das lädierte Image als Ostpartei zu retten: „Diese sozial-ökologische Transformation wollen wir auch im Osten und in allen von der herrschenden Politik »vergessenen« Regionen des Landes voranbringen.“

Mal sehen, ob das die Orthodoxen in der Partei wie Sahra Wagenknecht, Klaus Ernst oder Jan Korte überzeugen wird. Ich habe da so meine Zweifel. Alles viel zu grün …

Die Fraktion: Weniger als 39 gegen ein riesiges linkes Spektrum

Da es überwiegend altgediente Politprofis und ihre Günstlinge über die vorderen Listenplätze in den Bundestag geschafft haben, ist wieder auf das alte, wenn auch offensichtlich nicht bewährte Themenspektrum gesetzt worden, mit dem sich die in der Fraktion offenbar ziemlich einflussarmen Parteivorsitzenden nicht zufrieden geben wollen. Obwohl meiner Meinung nach die thematische Neuausrichtung nichts anderes als eine aktuellen Diskursen entsprechende Erweiterung der sozialen und verteilungspolitischen Kernthemen darstellt, wird sie als Abweichung von der reinen Lehre oder was auch immer behandelt. Das Hufeisen aus linkssozialdemokratischen Pragmatiker*innen um Dietmar Bartsch im Burgfrieden mit den Sahra-Wagenknechten und -mägden (blödes Wortspiel, passt hier aber unwiderstehlich gut) hält am scheinbar Altbewährten fest, egal wie wenig es die große Masse der Wählerinnen und Wähler überzeugen konnte. Wer ein breiteres Meinungsspektrum vertritt, wird als Renegat*in behandelt. Kritik wird niedergebügelt. An dieser Stelle: Jan Korte haben wir auf Twitter entfolgt. Selber Lack gesoffen, du Kleingeist!

Bitter für alle Mitglieder, wie ich eines bin, und alle, die Hoffnung auf DIE LINKE setzen, weil ihr Namen zwar etwas anmaßend erscheint, sie aber tatsächlich ein linkes Spektrum wie keine andere Organisation in diesem Land abdeckt und damit trotz Wahlniederlage und Schattendasein in vielen Bundesländern ein politisches Gewicht hat. Leider bestimmt die Bundestagsfraktion und damit die darin herrschende Allianz aus Opportunismus und Rückständigkeit das Bild der Partei. Wenn das linke Spektrum seiner am breitesten aufgestellten Kraft nicht den Rücken kehren soll, muss dringend ein Strategiewechsel gelingen.

Was können die im Bundestag vom Gemeinderat Mannheim lernen?

Im kleinen Mannheim, in dem nur gut ein drittel Prozent der Menschen in Deutschland lebt, hatte es der LINKEN, anders als im Bundestag, noch nie zum Fraktionsstatus gereicht. 2019 ergriff der damalige Stadtrat Thomas Trüper die Chance, mit einem Kollegen der Tierschutzpartei und einer Stadträtin der PARTEI ein Bündnis zu schmieden, das seitdem mit zwei weiteren linken Stadträtinnen und Trüpers Nachfolger eine Fraktion bildet. Diese Fraktion, die sich gemäß der Anfangsbuchstaben ihrer Mitgliedsparteien LI.PAR.Tie. nennt, wurde am Anfang mit großer Skepsis beäugt. Die thematischen Ausrichtungen schienen auf Dauer zu unterschiedlich zu sein. Ein grüner Stadtrat sprach gar von einem Obstsalat. Doch entgegen aller Unkenrufe ist das Bündnis nicht nur stabil, sondern erfreut sich auch nach zweieinhalb Jahren großer Harmonie. Aufgrund einer günstigen politischen Konstellation ist die Fraktion für ihre Größe relativ einflussreich. Nie konnte DIE LINKE im Gemeinderat größere Erfolge verzeichnen (auch wenn sie trotzdem immer nur kleine Schritte darstellen).

Das wichtigste Erfolgsrezept erscheint mir schlicht Offenheit ohne Beliebigkeit. Ein bisschen hochtrabend würde ich von der Bereitschaft schreiben, immer dazuzulernen. Klar ist die Grundlage ein gemeinsames Werteverständnis. Mitglieder aus drei Parteien des eindeutig linken Spektrums haben sich getroffen. Trotzdem gibt es natürlich von der Programmatik, den Schwerpunkten und der politischen Kultur deutliche Unterschiede. Viele Anliegen müssen ausführlich diskutiert werden. Es gibt auch mal keine Einigung. Dann ist aber die jeweilige Ablehnung bzw. Nicht-Zustimmung so gut begründet, dass sie nicht für Missstimmung sorgt. So haben die Fraktionsmitglieder der LINKEN sich für Tierschutz und Tierwohl sensibilisiert, was in der Flut an wichtigen Themen bisher einfach untergegangen ist. Auch die überwiegend feministischen Themen, gerne zugespitzt von der Stadträtin der PARTEI eingebracht, finden bisher immer eine Form, mit der alle gut leben können.

DIE LINKE Bundestagsfraktion kann mehr

Natürlich ist das sehr begrenzte Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten in der Lokalpolitik nicht mit dem weiten Politikfeld des Bundestages zu vergleichen. Trotzdem wird aus der Praxis in Mannheim deutlich, was ein Grund für die fatale Erstarrung der linken Bundestagsfraktion sein könnte. Die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten beschränkt sich freiwillig auf ein Spektrum, das große Themen einfach relativiert oder gar als dem politischen Gegner zugehörig denunziert. So scheint der populärsten Old-School-Politikerin Sahra Wagenknecht der Klimawandel ein Luxusthema privilegierter Mittelschicht-Kids und keine Entscheidung auf Leben oder Untergang der Menschheit zu sein. Da hat vermutlich Friedrich Merz noch mehr Verständnis für ökologische Notwendigkeiten. Dabei würde nichts an den Kernthemen der LINKEN an Bedeutung verlieren, wenn die aktuellen Problemfelder wie Klimawandel, Migration, Identitätspolitik etc. eingebunden werden. Denn das Zusammenleben zwischen Menschen untereinander und mit den komplexen Umweltsystemen lässt sich im heutigen Stadium gesellschaftlicher Entwicklung gar nicht ohne klassenpolitische Aspekte betrachten und umgekehrt, siehe ökologische Transformation! Wer das bestreitet, hat wohl auch nie die große Bedeutung des Feminismus für die sozialistische Gesellschaftskritik erfasst. Rosa Luxemburg würde sich im Grab umdrehen.

Wenn die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE so offen und lernbereit wie die kleine Gemeinderatsfraktion LI.PAR.Tie. wäre, würden die Hoffnungen in die parlamentarische Arbeit von vielen Parteimitgliedern und noch wesentlich mehr parteiunabhängigen Aktivistinnen und Aktivisten weiterhin auf sie bauen – und zwar aus einem riesigen Spektrum aus sozialen, menschenrechtlichen, feministischen, ökologischen, queeren, internationalistischen, gewerkschaftlichen und kulturellen Gruppen und Initiativen. Wer dagegen ausschließlich auf weiße Facharbeiter in mindestens dritter Generation deutscher Staatsbürgerschaft setzt, der oder die sollte sich überlegen, ob DIE LINKE wirklich den eigenen Wertvorstellungen entspricht.

2022: Aufbruch mit oder ohne DIE LINKE

Wer aber DIE LINKE als starken, einflussreichen Teil des sozial engagierten, ökologischen und queer-feministischen Spektrums in allen Lebensbereichen sieht, sollte nicht auf die aktuelle Engstirnigkeit der Bundestagsfraktion bauen. Allerdings habe ich die Hoffnung, dass DIE LINKE 2022 am Rande des politischen Abgrunds die Zeichen der Zeit erkennt, wie sie von den starken Frauen an der Spitze der Partei thematisiert werden, und sich eindeutig offen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts positioniert. Wenn nicht, wird etwas Neues kommen. Das neue Jahr steht für Aufbruch – mit oder ohne DIE LINKE.

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