Für den konsequenten Weg der Erneuerung

Für den konsequenten Weg der Erneuerung

3. Oktober 2021 Aus Von Stephan Bordt

Die Partei DIE LINKE hat nichts mehr zu verlieren als ihre Privilegien. Die Schonzeit ist vorbei. Die Angst vor dem Verlust des Fraktionsstatus‘ und der daraus erwachsenden Nachteile im Fall einer Spaltung ist zwar nachvollziehbar, darf jedoch nicht als Begründung für ein „Weiter so“ herhalten. Mit einem Direktmandat weniger wäre sowieso alles hinfällig gewesen. Und die Zeit ist reif für einen Wandel.

Eine Analyse der Gründe für das unerwartet tiefe Abrauschen bis unter die 5-Prozent-Marke nach wissenschaftlichen Kriterien ist schwierig. Obwohl sehr viele Zahlen bis in winzigste Details vorliegen, ermöglichen sie zu viele Interpretationen, die eindeutige Ergebnisse unmöglich machen. Deshalb kann es auch hier nur um persönliche Einschätzungen und Erwartungen gehen. Das nur vorweg.

Unterschiedliche Ursachen für Verluste

  1. Die Ost-Bundesländer haben aufgrund der demographischen Entwicklung weitgehend ihre Rolle als sicheres Stimmenpolster verloren. Viele mit der Regierungspolitik Unzufriedene haben dort rassistische und andere dummen Stereotypen verinnerlicht und sind als Potential für linke Politik weitgehend verloren, egal wie sehr sie von Sahra Wagenknecht & Co. umworben werden.
  2. Über eine halbe Million Wähler*innen sind zur SPD gewechselt, die teilweise die Schröder-Agenda widerrufen oder zumindest deutlich abgeschwächt hat. Das kleine Versprechen einer großen ehemaligen Volkspartei, soziale Korrekturen am Status der Merkel-Ära durchführen zu wollen, scheint mehr zu überzeugen als die großen Versprechen einer deutlich kleineren Partei
  3. Um die 400.000 Wähler*innen gingen an die Grünen verloren, weil DIE LINKE ihr eigenes Klimaschutzprogramm offenbar selbst nur als zweitrangig ansah. Auch bei mir ist dieser Eindruck im Wahlkampf entstanden

Eine Richtungsentscheidung ist unumgänglich

  1. Rein zahlenmäßig können die Verluste durch den demographischen Wandel im Osten teilweise die jungen Sympathisant*innen und Parteimitglieder der Milieus ersetzen, die von Sahra Wagenknecht als „Lifestyle-Linke“ denunziert werden. Sie engagieren sich für unterschiedliche Themen wie Klimawende oder gleiche Rechte für alle unabhängig von Herkunft, Staatsbürgerschaft, Geschlecht und sexueller Orientierung. Dahin entwickelt sich eine fortschrittliche, pluralistische Linke weltweit. Entweder ist die Partei DIE LINKE ein Teil davon oder sie ist ein dem Untergang geweihter Nostalgiker-Verein wie früher die K-Gruppen.
  2. Friendly Fire von der Saar: Sahra Wagenknecht hat mit ihrer enormen Popularität und ihrem selbstgerechten Buch ihre Parteidemontage auf einem höheren Level als je zuvor fortgesetzt. Ihr Gatte Oskar Lafontaine hat mit einer als pauschale Forderung nach Nicht-Wählen der LINKEN verstehbaren Kritik an Kandidaten aus dem eigenen Landesverband noch reichlich Öl ins Feuer gegossen. Hinter ihnen haben sich die Nostalgiker*innen innerhalb der Partei zu einem eigenen Lager versammelt. Besonders ärgerlich: Dieses Lager argumentiert und hetzt gegen mehrheitlich gefasste Parteibeschlüsse und das Wahlprogramm der LINKEN. Denn die programmatische Erneuerung hat längst begonnen.
  3. Das größte Lager hat das Motto: „Streitet euch nicht!“ Den Genoss*innen aus diesem Lager geht zwar Sahra Wagenknechts Dauerfeuer auch auf die Nerven, aber sie wollen um alles in der Welt den Laden zusammenhalten. Das ist insofern verständlich, dass in etlichen europäischen Ländern die früheren linken Parteien nach Spaltungen und unterschiedlichen Neuausrichtungen in der Versenkung verschwunden sind. Das wird allerdings auch passieren, wenn es einfach so weitergeht wie bisher. Außerdem nehmen sie dabei billigend in Kauf, dass weiterhin permanent von einer Minderheit – und das ist das Sahra-Wagenknecht-Lager ganz deutlich – gegen Parteibeschlüsse verstoßen wird.
  4. Der Trend zu neuen, nicht-traditionellen, fortschrittlichen, emanzipatorischen Parteien zeichnet sich in mehreren europäischen Ländern ab. In Deutschland ist die Voraussetzung dafür gar nicht so schlecht, gerade wenn SPD und besonders die Grünen in der Regierung wieder faule Kompromisse weit über das Akzeptable – bei DIE LINKE rote Haltelinien genannt – hinaus eingehen. Dann wird sich die U30-Fraktion schnell neu orientieren. Und wenn dann DIE LINKE nicht am Puls der Zeit ist, wird sie ganz schnell ihre Chance verspielt haben und nur noch Vergangenheit sein. Deshalb wird es in den nächsten Monaten oder sogar Wochen entscheidend sein, welches der drei Lager innerhalb der Partei und der Fraktion sich durchsetzen wird:
  • Das Sahra-Wagenknecht-Lager
  • Das Anti-Sahra-Wagenknecht-Lager
  • Das Streitet-euch-nicht-Lager

Klarere Positionierung und Kommunikation

  1. Statt mit dummen Provokationen á la Hunko oder Dehm sollte DIE LINKE sich die medienwirksame Skandalisierung der realen Skandale zueigen machen. Mit DW enteignen ist das – ich gebe zu, zu meiner Überraschung – gut gelungen. Die Themen müssen weit oben auf der öffentlichen Agenda stehen. Mir fällt sofort Klimagerechtigkeit ein, ist aber nur ein Beispiel. DIE LINKE muss nicht wie eine peinliche Kopie der Grünen wirken. Scharfe eigene Standpunkte wie die Industrie-Transformation verbunden mit der Jobsicherheit und -qualität könnten evtl. ein erfolgreiches Thema sein. Das muss permanent analysiert und dann klar und konsequent ohne Querschläger kommuniziert werden. Womit wir wieder beim Dauerproblem Sahra Wagenknecht wären.
  2. Weder können wir die demographiebedingten Verluste in den Ost-Bundesländern 1:1 ausgleichen noch der SPD verbieten, gutklingende sozialpolitische Angebote zu machen. Wir, die Mitglieder der LINKEN, müssen uns auf unsere Themen und Stärken besinnen und dabei schauen, was sich am besten vermitteln lässt. Wenn wir dabei zwischenzeitlich weiter unter der 5-Prozent-Hürde bleiben sollten, müssen wir nachjustieren und weiter sehr selbstkritisch nach den Ursachen suchen. Ich bin aber überzeugt, dass wir mit einer modernen Partei mit einem klaren sozial(istisch)en Markenkern und vielseitig aktiven Mitgliedern eine gewisse Hegemonie oder zumindest ein größeres Meinungsgewicht erzeugen können, um wieder dauerhaft eine politische Rolle im Bundestag, allen anderen politischen Ebenen und in der Gesellschaft zu spielen – in Ost und West.

Die Erneuerung der Partei muss sofort beginnen

  1. Quintessenz: DIE LINKE geht mit der Zeit oder sie wird mit der Zeit gegangen – und diese Zeit ist bereits angebrochen. Das Zeitfenster ist nicht mehr groß. Die Klimakatastrophe wartet nicht, bis sich linke Kräfte neu sortiert haben. Der Druck der Straße bleibt hoch, die Erwartungen nicht nur der jungen Menschen sind enorm. Die 4,9 Prozent sind die letzte Warnung. Die verbindende Klassenpolitik, die Verknüpfung der essentiellen Themen der modernen aufgeklärten Gesellschaft wie Klima, Gender, POC etc. mit sozialen und gewerkschaftlichen Themen, letztendlich dem Streben nach Überwindung des Kapitalismus kann in Deutschland nur mit einer größeren, bundesweit halbwegs gut organisierten, pluralistischen Partei wie der LINKEN gelingen. Dieser enormen Verantwortung muss sich die Parteiführung und auch die Fraktionsführung im Bundestag stellen und bereit sein, Konsequenzen zu ziehen.

    Deshalb: Weg mit den rückwärts gewandten, ausgrenzenden und die Klimakatastrophe leugnenden Kräften, zur Seite mit den ängstlichen Besitzstandswahrer*innen und Zauderern! Mit Offenheit zur Vielfalt der Menschen und der Probleme heraus zu neuer Stärke!

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