Die Ampel für die Klimakatastrophe steht auf Grün

Die Ampel für die Klimakatastrophe steht auf Grün

8. September 2022 Aus Von Stephan Bordt

Bevor der krasseste Dürre-Sommer seit Jahrhunderten in Europa und das Versinken Pakistans in den Monsun-Fluten in Vergessenheit geraten: Der sog. Ampel-Regierung fehlt jeder Wille, Konsequenzen aus der Klimakatastrophe zu ziehen, die durch die dichte Folge von Rekordsommern ihre Entwicklung eindrücklich belegt.

Kein System Change mit den Parteien des Stillstands

Dringend gebotene weitreichende Maßnahmen werden nicht angegangen. Nach den 16 verpassten Jahren für die Klimawende der Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel war von der „Ampel“, in der zwei Koalitionsparteien aus dieser Zeit mitregieren, allerdings auch nicht viel zu erwarten. Die Dritten im Bunde, Bündnis 90/Die Grünen, beweisen seit Jahren in Baden-Württemberg, dass sie sich mit dem dortigen Koalitionspartner CDU in der Priorität Besitzstandswahrung vor Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit vollkommen einig sind, von ein paar guten, aber in keiner Weise ausreichenden Maßnahmen abgesehen.

So verwundert es nicht, dass nicht mal erwogen wird, das Verursacherprinzip mit den entsprechenden Anteilen an der Klimazerstörung halbwegs ehrlich anzuwenden und damit die entscheidenden Big Points in Sachen Klimarettung eilig auf den Weg zu bringen. Dabei spielt der Regierung die durch Putins Krieg ausgelöste und durch kapitalistische Raffgier befeuerte Energiekrise eigentlich perfekt in die Karten.

Sofortmaßnahmen sind möglich

Dabei liegen die wichtigsten Maßnahmen auf der Hand. Niemand dürfte das besser wissen als die Regierungsmitglieder mit grünem Parteibuch. Orientieren könnte sich die Regierung am Aufbau Ost und seinen Beschleunigungsgesetzen nach der Wiedervereinigung unter Bundeskanzler Helmut Kohl. Wo der Bau von Autobahnen und anderen Großprojekten für eine wirtschaftskonforme Infrastruktur durchgezogen werden konnte, ginge das – weit weniger brachial – auch mit Klimaschutzmaßnahmen wie dem massiv verstärkten und beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien. Auch Investitionen wie beim Sondervermögen Bundeswehr sind das Gebot der Stunde. Aber offenbar spielen die Sozen, die Liberalen und die Grünen lieber Krieg, statt den Planeten vor dem Klimakollaps zu retten.

Mehr Windenergie per Bundesverordnung
Mit einem Beschleunigungsgesetz könnte auch die 1-km-Abstandregel für Windenergieanlagen in einigen Bundesländern durch Bundesrecht gekippt werden. Bürgerstrom-Modelle müssten durch entsprechende Gesetzgebung und Einbeziehung kommunaler Träger die Regel oder sogar verpflichtend werden. Damit wächst die Akzeptanz und der Nutzen für alle.

Ausbau PV- und WEA-Industrie
Ähnlich den Corona-Gegenmaßnahmen könnte den Solarzellen- und Windenergie-Industrien, die von Merkels Wirtschaftsminister Peter Altmaier in die Krise getrieben wurden, mit massiver Unterstützung wieder auf die Beine geholfen werden. Sollten dann aber ebensolche Riesengewinne wie bei BioNTech generiert werden, könnten diese zu einem Großteil steuerlich abgeschöpft werden.

Kohle-Ausstieg in schnellen Schritten
Ausstieg aus der Braunkohle sofort! Altmaier war sichtlich stolz, der Produktion der Erneuerbaren den Hahn abgedreht zu haben, obwohl damit fast schlagartig zehntausende Arbeitsplätze verloren gingen. Natürlich dürfen die Beschäftigten in den Braunkohlerevieren nicht ebenso in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. Das kann entschlossene Standortpolitik mit einer Reihe flankierender Maßnahmen leisten. Das Selbe gilt für die Steinkohlekraftwerke, die deutlich früher als im bestehenden Kohleausstiegsplan abgeschaltet werden müssen. Die Diskussion um Gaskraftwerke hat sich erledigt. Und die Weiternutzung der Atomenergie befürworte ich nur bei Endlagern unter den Parteizentralen der Atomkraftfans CSU, AfD und vielleicht auch der FDP.

PV-Pflicht bundesweit
Verpflichtende Photovoltaik-Anlagen, wie sie jetzt im zweiten Anlauf in Baden-Württemberg eingeführt wurden, könnten bundesweit viel weitreichender für praktisch alle (größeren) Gebäude Standard werden, zeitlich gestaffelt gemäß einer durch raschen Produktionsausbau wachsenden Verfügbarkeit.

Emissionsfreie Energiequellen gezielter ausbauen
Neben Geothermie, die nach schweren Fehlleistungen inzwischen ziemlich sicher zu sein scheint, Flusswärmepumpen usw. gibt es auch für die verstärkte Nutzung der Prozesswärme aus Industrie, Serverparks etc. umsetzungsreife Konzepte. Sie müssen durch Lenkungsmaßnahmen angeschoben werden. Dem Gejammer, der Staat greife damit zu sehr in die Privatwirtschaft ein, kann mit Vergütungen und Kosteneinsparungen für die Betroffenen begegnet werden.

Beton einschränken, Wärmedämmung beschleunigen
Was neben PV auf dem Dach bei der Einsparung im Wohnbereich möglich ist, hängt natürlich stark von der Verfügbarkeit von Materialien und Geräten ab. Fest steht, dass die Bundesregierungen seit vielen Jahren die verkündeten (und angepeilten?) Ziele verfehlen. Da müssen Maßnahmen her, die aber nicht darauf aufbauen können, die weltweite Konkurrenz um Baustoffe zu befeuern. Apropos Baustoffe: Auch für den Klimakiller Zement als Zutat für Beton müssen Alternativen und strenge Regelungen her – und zwar dringend!

Tempolimit und radikale Einschränkung KFZ-Verkehr
Dem Verkehr könnten effektive, schnell umsetzbare Regeln wie Tempolimits, Vorrang und Ausbau der öffentlichen Verkehrsangebote sowie des Radverkehrs bei zeitgleichen Einschränkungen für den KFZ-Verkehr zu mehr Klimafreundlichkeit verhelfen. Dazu flankierende monetäre Steuerelemente wie Umbau bzw. Ersetzen der PKW-bevorzugenden Pendlerpauschale. Pendler*innen sollen allerdings bei fehlenden Alternativen im ländlichen Raum weiter das Auto bezahlbar nutzen können, aber Nutzung aus Bequemlichkeit – vermutlich die Mehrheit – dürfte nicht mehr subventioniert werden.

Inlandsflüge verbieten, Kerosin besteuern
Inlandsflüge müssen verboten werden. Punkt. Auf meinen Wohnort runtergebrochen heißt das in der Konsequenz auch die Schließung des Mini-Airports Mannheim. All die Konzernmanager*innen können statt Kurzstrecken-Linie oder noch schlimmer mit dem Learjet auch mit dem ICE fahren oder bei größeren Entfernungen Linie ab Frankfurt fliegen. Doch für letzteres gilt: Spürbare Steuern auf Kerosin sollten eigentlich schon immer eine Selbstverständlichkeit sein. Diese klimaschädliche Subvention durch Nichterhebung muss ein Ende haben, damit Fliegen nicht mehr billiger als Bahnfahren ist.

Bahnausbau trotz hausgemachten Hindernissen
An den unter Kohl eingeschlagenen Weg in den neoliberalen Abgrund der Bahn-Privatisierung knüpfte SPD-Kanzler Schröder mit der Ernennung von Hartmut Mehdorn als Bahnchef an. Der schaffte das Unglaubliche, nämlich den Abwärtstrend zu beschleunigen. Die Grünen schluckten die Kröte. Unter Merkel zementierten die bemerkenswert unfähigen CSU-Verkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheuer den Trend KFZ vor Bahn. Übrigens lässt die CSU, die biedere Schwester der AfD, keinen Zweifel daran, dass sie diesen Weg auch heute noch weitergehen würde. Von der Ampel, auch vom FDP-geführten Verkehrsministerium, kommen nun deutliche Willensbekundungen für eine Verkehrswende pro Bahn. Doch dem müssen erstmal Taten folgen. Aktuell ist die Bahn gegen die Wand gefahren. Helfen können auch hier nur viel Geld und Beschleunigungsgesetze wie unter Helmut Kohl. Dazu fehlt wiederum ganz offensichtlich der Willen der Ampel-Regierung.

Moore schützen – weltweit!
Stärkung der Wälder und Moore: Das 4-Milliarden-Paket dafür ist als eine der wenigen zielgerichteten Maßnahmen der „Ampel“ zur Klimarettung zu begrüßen. Allerdings wird es von Umweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) auf Flächen in Deutschland beschränkt. Ein schrittweises Torf-Verbot in Gartenerde würde auch den Mooren in anderen Staaten, v.a. im Baltikum, helfen. Doch dafür gilt nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Das hat erstens noch nie funktioniert und zweitens hat der Gärtnereien-Bundesverband die freiwillige Reduzierung sofort zurückgewiesen. D.h. die Moore in Osteuropa, um ein Vielfaches größer als die deutschen und wirklich bedeutende CO2-Speicher, werden weiterhin zerstört.

Weniger Fleisch = mehr Regenwald
Der Fleischkonsum ist in Deutschland viel zu hoch. Dafür werden nicht zuletzt viele, viele tausend Quadratkilometer Regenwald abgeholzt, um darauf Soja als Futtermittel für europäische Kühe und Schweine anzubauen. Auch hierzulande werden 60 Prozent des angebauten Getreides für Futtermittel verwendet. Nun muss ich gestehen, dass ich kein Vegetarier bin. Aber den Fleischwarenkonsum haben wir auf wenige hundert Gramm pro Woche für die ganze Familie reduziert. Trotzdem sollte Fleisch nicht zum Luxusprodukt und Prestigeobjekt für Besserverdienende werden. Ich prophezeie, das würde auch bei Abschaffung der Massentierhaltung nicht passieren. Nur der ganz billige Dreck würde aus den Regalen verschwinden. Das könnte in einem deutlichen Bruch zur alten Landwirtschaftsministerin Klöckner (CDU) durch gesetzliche Regelungen und andere Subventionsmechanismen ziemlich schnell herbeigeführt werden. Aber wohl nicht mit einem Schwaben als Nachfolger.

Sozial ausgewogene Verbrauchssteuerung
Generell muss eine Steuerung über Verbrauch sozial ausgewogen funktionieren. So müssen für den Stromverbrauch günstige Basistarife her, die Haushaltsbedarfe ausreichend abdecken. Mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren wird elektrische Energie sowieso billiger. Darüber hinaus könnte der Mehrverbrauch dann richtig teuer gemacht werden, um eine Motivation zum Stromsparen zu schaffen. Das Selbe gilt für andere Energieformen. Dass Menschen dafür bestraft werden, wenn sie in einem Haus leben müssen, das die Vermieterin nicht wärmedämmt, dagegen kann ein Bonus- oder Punktesystem helfen, das über den Energieausweis des Hauses ermittelt und den Mietern gutgeschrieben wird. Gibt’s in ähnlicher Form schon in anderen europäischen Ländern. Und dass Strom- und Gassperren völlig daneben sind, weil sie den Menschen die Lebensgrundlage rauben, ist für mich selbstredend.

Klientel-Politik statt Ruck durch die Regierung

Diese Liste ist ohne Frage absolut unvollständig. Mir geht es auch nur darum zu zeigen, dass die Ampel-Regierung offenbar den Ernst der Lage nicht erkannt hat und deshalb nicht bereit ist, an das kapitalistische System aus Konzernmacht und -lobby heranzugehen. Und die Privilegien der gehobenen Schichten ab der oberen Mittelschicht mit großem politischen Einfluss und ebenso großem CO2-Abdruck dürfen nicht angetastet werden. Lieber opfert die Regierung das Weltklima. Das kann zwar Deutschland ohnehin nicht alleine retten. Aber unser Land gehört erstens zu den weltgrößten CO2-Emittenten, hat zweitens starken Einfluss auf die Europäische Union, die neben China und USA zu den größten drei gehört, und würde mit konsequentem Handeln auch andere Länder unter Zugzwang setzen.

1987 forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog in einer Rede, „durch Deutschland muss ein Ruck gehen“. Zwar verstand er diesen Ruck gemäß seinem CDU-Parteibuch und dem damaligen Zeitgeist als neoliberale Maxime der Eigeninitiative gegen staatliche Regulierungspolitik. Trotzdem lässt sich dieser Satz, der zu Herzogs Vermächtnis in der öffentlichen Wahrnehmung wurde, in zeitgemäßer Form auf die heutige Situation im Angesicht der rasch fortschreitenden Klimakatastrophe übertragen. Es muss ein lautes und entschlossenes Einfordern innerhalb der Regierungsparteien und von außen geben, eben jenen besagten Ruck.

Leider hat die Jugendbewegung Fridays for Future zwar viel Aufmerksamkeit erhalten, doch die Kraft für diesen Ruck, eine Umsetzung zu erzwingen, hat sie offenbar nicht. Da hilft auch kein Festkleben auf der Straße, wie von einigen Splittergruppen praktiziert. Es muss massenhafter Druck von weiten Teilen der Bevölkerung auf der Straße her.

Die Energiekrise als noch ungenutzte Chance

Die aktuelle Energiekrise bietet wie eingangs erwähnt die Chance, die Themen unsolidarische, ungerechte Lastenverteilung, Energieeinsparungen und -management mit der notwendigen Klimarettung zu verknüpfen. Doch das machen aktuell weder die Medien noch die im Bundestag vertretenen Parteien noch ihre aktiven Mitglieder, bei den Grünen aus oben genannten Gründen der konservativen Besitzstandswahrung. Die SPD hächelt ohnehin meistens gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher, was ja auch ein Teil ihres Wahlerfolgs ausmacht, der nicht ohne die ältere Generation denkbar wäre. Von FDP und CDU/CSU ist sowieso wenig, von der dummen AfD gar nichts zu erwarten. Bei der LINKEN muss sich das Bewusstsein dafür offenbar trotz gutem Parteiprogramm erst entwickeln und die alten Zöpfe, z.B. die Nordstream-2-Fans, müssen abgeschnitten werden. Und natürlich müssen die Fridays, Parents, Scientists etc. for Future weiterhin Druck auf der Straße ausüben. Das Ganze sollte dann nur ehrlicherweise auch etwas gesellschaftskritischer – und damit zwingend kapitalismuskritischer – unterfüttert sein.

Ein Weiter-so wird es nicht geben, ohne die Erde als Lebensgrundlage für die Menschheit zum Kollabieren zu bringen. Früher oder später wird es auch reiche Gesellschaften und ihre privilegierten Schichten treffen, nicht nur die Ärmsten in Afrika, Südasien und auf versinkenden Pazifikinseln. Der Planet wird sich in ein paar Millionen Jahren davon erholt haben. Doch dann kommt für die gesamte Menschheit längst jede Hilfe zu spät.

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