
Die Pandemie lehrt uns die Sehnsucht zu schätzen
Wenn die Beschränkungen aufgrund der Pandemie uns eines lehren: Wir entdecken wieder, was wir eigentlich vermissen. Sozusagen die Rückkehr der Sehnsucht. Mal wieder verreisen, was anderes sehen – muss nicht mit dem Flugzeug sein – oder sich mal wieder in die Menge stürzen, einfach so, wie das viele Jahrzehnte eine Selbstverständlichkeit war, die schlimmstenfalls vom fehlenden Budget vereitelt wurde. Wie schon lange nicht mehr vermisse ich das dichte Gedränge vor einer Konzert-Bühne oder die Anfeuerungsrufe im Fußballstadion. Und es fällt mir schwer, über Ostern keine längere Pfalzwanderung mit Hüttenaufenthalt bei Schorle, Saumagen und evtl. spontanen Kontakten planen zu können.
So gesehen, ist Corona ein Déjà-vu. In viel zu vielen Jahren in Norddeutschland habe ich das Klima, die Vegetation, das Sitzen in Biergärten oder vor Hütten schon im Frühjahr und im Herbst bis in den November, die Hügel, Weinberge und Fernblicke in Süddeutschland vermisst. Ich erinnere mich an die ersten Jahre nach dem Umzug nach Heidelberg und später nach Mannheim. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen, endlich diese überwiegende Einöde der Norddeutschen Tiefebene hinter mir gelassen zu haben. Bis dahin hatte ich ziemlich viele Jahre Geduld aufbringen müssen.
Da ist die Pandemie, auch wenn wir nicht genau wissen, wann sie als überwunden gelten kann, ein Spaziergang (natürlich nicht für die, die in ihrer Existenz bedroht sind). Nebenbei: In sehr, sehr viel extremerem Maße dürften das Kriegsgeflüchtete empfinden. Was sind anderthalb Jahre Pandemie gegen zehn Jahre Krieg in Syrien?
Doch zurück zur Sehnsucht: Schon vor dem Corona-Ausbruch habe ich, sozusagen als Reise in die Erinnerungen, den Norden als Reiseziel wieder entdeckt. Inzwischen waren wir schon häufiger an Nord- und Ostsee. Die Möglichkeit, dorthin zu fahren, vermisse ich, besonders in Hinblick auf den Sommer, wenn es in der Rheinebene wieder unerträglich heiß werden dürfte. Und ich mag die manchmal melancholische Stimmung an der Küste und in einigen Gegenden im Landesinneren des Nordens (das Foto ist auf Rügen geschossen).
Der Umkehrschluss stimmt allerdings nicht: Ich möchte nicht wieder im Norden leben, nur um wieder die Sehnsucht nach dem Süden zu verspüren. Es gibt auch hier in Mannheim noch Träume, die es zu erfüllen gilt oder auch nicht, wenn Corona eine Erzählung aus der Vergangenheit sein wird.