Die Ausgangssperre – von der Ultima Ratio zur ultimativen Dauerlösung

Die Ausgangssperre – von der Ultima Ratio zur ultimativen Dauerlösung

12. Februar 2021 Aus Von Stephan Bordt

Corona und kein Ende. Die Pandemie hat uns eine Maßnahme beschert, die sonst fast nur von Militärdiktaturen verhängt wird: Eine nächtliche Ausgangssperre im ganzen Land Baden-Württemberg. Die Bevölkerung nimmt es weitgehend ohne Murren, vermutlich mehrheitlich sogar zustimmend hin. Zu groß ist die Verunsicherung durch den todbringenden Virus Covid-19.

Angst und Aktionismus schlägt Kritik

Immerhin sorgten sinkende Inzidenzzahlen – in Mannheim sind sie, Stand Mitte Februar 2021, gerade wieder am Steigen – und das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, die Ausgangssperre sei unverhältnismäßig und deshalb als flächendeckende Maßnahme aufzuheben, für Erleichterung. Doch die Landesregierung wollte sich so schnell nicht geschlagen geben und verfügte, dass die Maßnahme in Kraft bleibt, wenn der Inzidenzwert über 50 Neuinfektionen/Woche pro 100.000 Einwohner liegt. Weitere Kriterien legen die letztendliche Entscheidung in die Hand der Land- und Stadtkreise. In Mannheim bleibt die Ausgangssperre in Kraft.

Kaum jemand, auch ich nicht, wendet sich gegen die Ausgangssperre, aus Angst, der Verantwortungslosigkeit das Wort zu reden. Zum einen will sich niemand mit den von entfesseltem Egoismus getriebenen Corona-Leugnern gemein machen. Zum anderen kann kaum jemand, vermutlich nicht mal die Virologen, genau sagen, welche der ergriffenen Maßnahmen so wenig zum Bremsen der Infektionsdynamik beitragen, dass man sie auch sein lassen könnte. Und klar: Wenn die Dynamik vollständig zu Stehen kommt, wird es keine neuen Toten geben.

Viele Tote trotz vieler Maßnahmen

So ist die ganz pauschale Begründung für die Ausgangssperre die selbe wie für Schul-, Kita-, Gastronomie- und Einzelhandelsschließungen: Verringerung der Kontakte. Wenn die Räume, an denen nicht direkt miteinander verwandte Menschen in engen Kontakt treten, geschlossen werden, gibt es auch keine Kontakte mehr, so die Logik. Und wenn die Straßen abends und nachts leer sind, sind die, die sich heimlich treffen, leichter zu erwischen.

Klingt erstmal einleuchtend. Die bundesweit und auch vor Ort sinkenden Inzidenzzahlen – in Mannheim von 307 kurz vor Weihnachten auf knapp über 60 Anfang Februar – geben dieser Strategie ein Stück weit recht. Ein ganzes Stück weit stehen sie aber auch für einen auf Ratlosigkeit basierenden Aktionismus. Denn das Hauptziel, die Verhinderung einer hohen Todesrate, wird anders als in der ersten Corona-Welle schmerzhaft verfehlt. Besonders in den Senioren- und Pflegeheimen sterben die Menschen in ungebrochen großer Zahl.

Eingeschränkte Rechte als bequemste Lösung

Ist es also tatsächlich verantwortungslos, sich gegen die Ausgangssperre zu wenden? Ich meine: Mitnichten. Erstens zeigt die regionale Fortführung der Ausgangssperre bei einem willkürlich festgelegten Inzidenzwert die Unfähigkeit der Regierenden zu differenzierten, sozusagen smarten Maßnahmen. Stattdessen regiert der Holzhammer der Grundrechteaushebelung. Das ist bequem für die Entscheider, die sich darauf zurückziehen können, alles getan zu haben. Damit schütten sie Wasser auf die Mühlen all jener, die eine wissenschaftliche Grundlage der Maßnahmen gegen die Pandemie in Frage stellen. Dabei ist diese unzweifelhaft – im Gegensatz zu den Maßnahmen selbst, die sich in weiten Teilen vom wissenschaftlichen Anspruch belegbarer Kausalitäten längst weit entfernt haben.

Zweitens darf bezweifelt werden, ob es ohne Ausgangssperre mehr Tote geben würde. Der Zusammenhang zwischen der hohen Zahl an Sterbefällen und der Pandemie-Dynamik besteht nämlich nur bedingt. Dabei spielt allzu häufig auch die Unfähigkeit eine Rolle, die sogenannten vulnerablen Gruppen ausreichend zu schützen. Das müsste – muss – auch möglich sein bei einer hohen Inzidenz. Da nützen weder Ausgangssperren noch Ladenschließungen. Das Gegenargument lautet: Es gibt auch Tote außerhalb der Heime. Das ist richtig, auch die müssen vermieden werden. Aber auch hier gilt: Besonderer Schutz der vulnerablen Gruppen, scharf zugeschnittene Regeln bei null Toleranz. Aber vielleicht ist es illusorisch, das hierzulande hinzubekommen.

Hoffen auf den Lerneffekt

Was bleibt, ist die Hoffnung und auch der Anspruch auf eine empirische Auswertung aller Maßnahmen auf ihre (Wechsel-)Wirkungen in Bezug auf Inzidenzien, Todesraten und weitere Parameter. Denn das ist das Mindeste, was wir als aufgeklärte Bürger*innen erwarten können, wenn wir so bereitwillig, wie wir uns das niemals hätten vorstellen können, unsere Grundrechte an der Garderobe der Seuchenbekämpfung abgeben. Sollte dann rauskommen, dass wider besseres Wissen Schutzmaßnahmen, die hätten Leben retten können, nicht durchgeführt wurden, während Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wurden, muss das Konsequenzen haben, auch personelle.

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